Designer-Drogen-Drehkreuz: Wie die Verdächtigen Rauschgifte als Badesalz und Kräutermischungen verkauften
Herford. Ein Hinweis des schwedischen Zolls, der ein verdächtiges Paket aus China abfing und den Inhalt analysieren ließ, brachte deutsche Ermittler auf die Spure eines Kräuterdrogen-Kartells, das von München und aus dem Kreis Herford agiert haben und mehr als 350 Kilogramm Drogen umgesetzt haben soll - getarnt als Kräutermischungen oder Badesalz. Zollfahnder aus Nürnberg zerschlugen jetzt die Gruppierung (die NW berichtete exklusiv). Nun werden immer mehr Einzelheiten über den Einsatz der fränkischen Fahnder Donnerstag bekannt.
Während des mehrstündigen Einsatzes durchsuchten die Ermittler in München, Herford und Deggendorf zehn Firmen- und Privatgebäude und nahmen drei Männer und zwei Frauen im Alter von 31 bis 48 Jahren fest. Gegen vier Personen wurde Haftbefehl erlassen. Ein Mann aus dem Kreis Herford, der ebenfalls eine zentrale Rolle in der Gruppierung spielen soll, wurde festgenommen und verhört, jedoch später wieder auf freien Fuß gesetzt.
Für Polizei und Justiz ist er kein Unbekannter (siehe Artikel zur Internet-Abzocke). Nun beschäftigt sich auch die auf Wirtschaftskriminalität spezialisierte Staatsanwaltschaft München I. mit ihm und seinen mutmaßlichen Komplizen. "Es geht um den Vorwurf des gewerbsmäßigen Schmuggels", erklärt Frank Rieger, Sprecher der Nürnberger Zollfahndung.
In den Büros im Kreis Herford, die dem Verdächtigen gehören, sollen nach dem bisherigen Stand die aus München kommenden großen Drogenlieferungen in Ein-Gramm Portionen umgepackt und teils verschickt worden sein. Nach NW-Informationen wurden in einem Keller des Mannes rund 25 Kilogramm der Substanzen gefunden.
Die Drogenlieferungen soll die Gruppierung als Kräutermischungen oder als Badesalz getarnt haben. Die Ermittler sprechen bei den Rauschmitteln von so genannten "Legal Highs", die als Designerdrogen bewertet werden, erklärt Frank Rieger weiter: "Ziel des Großeinsatzes war die Sicherstellung von Beweismitteln bei der europaweit tätigen Gruppierung."
Die Männer und Frauen sollen arbeitsteilig agiert haben. So wurden von ihnen chemisch hergestellte Pulvermischungen unter anderem als "Rostschutzmittel" kiloweise aus China importiert. Bislang gehen die Beamten davon aus, das 356 Kilo aus Fernost eingeführt wurden - die wohl einen Verkaufswert von mehr als zehn Millionen Euro haben.
"Die Ware wurde in München sowohl in Tütchen als Endverkaufseinheit zu je einem Gramm als auch in größeren Mengen in Großhandelspackungen für das europäische Ausland umverpackt", ergänzt Frank Rieger.Bei den in Kreis Herford gefundenen 25 Kilo handelt es sich um so genanntes "Sweed". Diese Räuchermischung enthält vermutlich künstlich hergestellte Stoffe, die ähnliche wie die im Hanf enthaltenen Drogensubstanzen wirken. Bisher ist aber noch nicht klar, wie hoch der Gehalt tatsächlich ist.
Verkauft wurden die Substanzen, die eigentlich unter das Arzneimittelgesetz fallen, über eine eigene Internet-Seite: "Auf dieser wurde das als ,top erfrischendes Badesalz’ beworbene Produkt den Kunden zum Preis von 29 Euro je Gramm - ein Vielfaches des Einkaufspreises - zum Kauf angeboten", erklärt Zollfahndungssprecher Rieger: "Auf der Internetseite gab die Gruppierung ihren Kunden auch erste Hinweise auf die möglicherweise doch nicht als Badesalz angedachte Verwendung der teuren Substanz gleich selbst: So erfolge die Abgabe des Badesalzes - angeblich - nur an volljährige Personen. Es werde eine diskrete Lieferung garantiert und - das "Badesalz" sei für Schwangere nicht geeignet."
Die fränkischen Ermittler gehen davon aus, dass das "Badesalz" zum Konsum durch Schnupfen, also ähnlich wie Kokain, vertrieben wurde. Die Ermittlungen in dem von Zollfahndung und Staatsanwaltschaft als komplex eingestuften Verfahren dauern an.
Herforder Verdächtiger wegen Abofallen im Visier
Der Mann, dessen Büros die Nürnberger Zollfahnder im Kreis Herford durchsuchte, hat jahrelange Erfahrung mit Ermittlungsverfahren und ist bereits bundesweit wegen so genannter Abofallen im Internet und einem fragwürdigen Inkassodienst bekannt.
Aktuell läuft gegen den Mann ein Groß-Verfahren der Hannoveraner Schwerpunktstaatsanwaltschaft für Wirtschaftskriminalität, über das die NW exklusiv berichtete: Es sind Ermittlungen rund um eine seit Jahren als "Internet-Abzock-Seite" bekannt gewordene Internetseite mit kostenpflichtigen Gratisprogrammen und ein von Herfordern in Hannover gegründetes Inkassounternehmen. Das Landeskriminalamt Niedersachsen hat diese Ermittlungen übernommen, weil die Spuren in dem Fall – wie auch aktuell bei den Kräuterdrogen – ins Ausland führen. Bei den Wirtschaftsverfahren geht es um den Vorwurf des Betrugs und möglicher Verstöße gegen das Urheber- und Markenrecht.
Die niedersächsischen Ermittler haben bisher Konten mit mehr als einer Million Euro eingefroren. Die Masche der Verdächtigen: Im Internet boten sie die Gratisprogramme wie die Textverarbeitungssoftware Open-Office, das Bildbearbeitungsprogramm Irfanview oder den Adobe-Reader auf einer eigenen Seite zum Herunterladen an. Angeblich wurden Internet-Nutzer darauf hingewiesen, dass das Angebot 96 Euro kostet. Der Vorteil der kostenpflichtigen Gratisprogramme sollte angeblich ihre Virenfreiheit sein, erklärten Vertreter. Als Sitz des Unternehmens, das aus Sicht der Ermittler eine Scheinfirma ist, wurden die Vereinigten Arabischen Emirate gewählt.
Die niedersächsischen Ermittler gehen unter anderem dem Verdacht nach, dass viele Opfer nie auf der fraglichen Internet-Seite waren, sondern ihre Adressen eingekauft und sie dann angemahnt wurden. Viele Menschen zahlten tatsächlich, weil sie sich durch die immer wieder eingehenden Mahnschreiben unter Druck gesetzt fühlten.
Vielfach hatten die Opfer nicht einmal einen Computer. Bevor die Schwerpunktstaatsanwaltschaft die Ermittlungen übernahm, waren die Mahnbriefe unter anderem aus dem Kreis Herford versandt worden. (jwl)
Quelle:
Neue Westfälische Zeitung